Gefährliche Traditionen

Zimmertheater zeigt „Bernarda Albas Haus“

Die Kirchenglocken läuten und das Dorf ist zusammengekommen, um Bernardas Mann die letzte Ehre zu erweisen. Nun ist sie die Herrscherin im Hause Alba und gebietet die Einhaltung der Tradition, acht Jahre lang zu trauern. Ihr Haus wird zu einer Festung, in der auch die fünf heiratsfähigen Töchter isoliert werden.
„La Casa de Bernarda Alba“ gehört neben „Yerma“ und „Bluthochzeit“ zu den Dramen des Autors Federico García Lorca, in denen er die Unterdrückung der Frau in spanischen Dörfern der 1930er Jahre anspricht und das verlogene Ehrgefühl einer streng katholischen Gesellschaft anprangert. Bereits vergangenen Oktober hat Thomas Nauwartat-Schultze mit der Inszenierung des Stückes Besucher des Mannheimer Zimmertheaters tief bewegt. Coronabedingt auf die Warteliste gestellt, feierte er nun eine auf Abstand umgewandelte Wiederaufnahme.
Acht Jahre eingesperrt, das ist für Frauen voller Träume und sexueller Begehren grausam. „Arbeitet an eurer Aussteuer“, befiehlt die tyrannische Mutter (grandios: Sabine Valentin) und fordert von ihren Töchtern sowohl bedingungslosen Gehorsam als auch Anstand, um das Haus vor Gerede zu bewahren. Das jedoch ist kaum zu vermeiden, denn die Schwestern Alba sind alle in den attraktivsten Mann des Dorfes verliebt: Pepe el Romano soll die älteste, vom Vater beerbte reiche Augustias (stolz und etwas ängstlich: Claudia Bendig) heiraten, umwirbt aber die jüngste Adela (schnippisch, aufmüpfig: Agnetha Rauch) und macht die rivalisierende Martirio (kämpferisch verzweifelt: Santina Rudolph) eifersüchtig. Die gütige Magdalena (zurückhaltend: Silvia Schönfelder) und die sanfte Amelia (liebevoll: Nina Sumser) glätten die Wogen mit Nachsicht, während die unnachgiebige Bernarda lediglich über den Dorfklatsch besorgt ist. Kein Gespräch untereinander klärt die Situation, jeder macht seine Probleme mit sich aus. Allein die Magd La Poncia (lebensfroh, gefühlsdirekt: Wera Wörner) hat Verständnis für die „Frauen ohne Mann“ in diesem „gottverdammten Haus“. Sie kennt die Schwestern, hat sie aufgezogen, und versucht zu vermitteln, kann aber das Unglück nicht verhindern. Der Rest ist Schweigen. Ein erschütterndes Gesellschaftsbild, meisterhaft inszeniert.

Mannheimer Morgen, 29.09.2021, cha